Überwachungsstaat vs. Sicherheit

gepostet von Johan am

Morgen Mittag findet in Neumünster ein Schleswig-Holstein-Rat der JUNGEN UNION statt. Thema wird vor allem ein Antrag mit dem Titel „Ausgewogener Datenschutz als Fundament der Offenen Informationsgesellschaft“ [PDF] werden.

Ich bin ja ein Skeptiker, was die Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen des Staates angeht. Das Bewusstsein der Überwachung und dessen Internalisierung ist massiv freiheitsgefährdend. Die Internalisierung der Überwachung führt dazu, dass jeder einzelne seine Denkweise beschränkt, sobald er sich bewusst wird, dass er eventuell nicht im gesellschaftlichen Sinne verhaltensadäquat denkt. Eine freie Gesellschaft braucht aber zumindest in Gedanken die Möglichkeit aus Normen und Konventionen auszubrechen. Nur so lässt sich eine uniformistische, sich selbst gleichschaltende und ihre eigene Erneuerung kastrierende Gesellschaft verhindern.

Bei fast allen Themen(biometrische Ausweise, Online-Durchsuchungen, Vorratsdatenspeicherung, Kamera-Überwachung, zivilrechtlicher Auskunftsanspruch) stehe ich inhaltlich auf der anderen Seite. Deshalb werde ich morgen je nach Stimmungslage entscheiden, wie ich damit umgehe. Schließlich bin ich mit meiner Position in einer Minderheitenposition. Auf der anderen Seite habe ich von vielen, die inhaltlich nicht mit mir übereinstimmen gehört, dass sie das Papier aufgrund seiner „Ja-Aber“-Rhetorik ablehnen.
Bei mir kommt noch hinzu, dass einige Punkte nicht thematisiert werden (KFZ-Kennzeichen-Screening, Ausweitung Telefonüberwachung, Volkszählung), die für mich zu dem Komplex hinzu gehören.

Von daher werde ich wohl bei entsprechender Stimmungslage morgen eine Grundatzdebatte anzetteln und eine Zurückweisung oder Ablehnung beantragen. Mit viel Glück kann man vielleicht 1/3 der Delegierten zu überzeugen, mehr wird wohl nicht gehen. Das hängt aber auch von der Argumentation ab.

Also: Warum ist man grundsätzlich gegen Überwachung? Wo liegen die Gefahren, wenn der Staat Daten sammelt? Was ist neben des Generalverdachts gegen die Bevölkerung (Vorradsdatenspeicherung, verdachtsunabhängige Kontrollen) der grundsätzliche Perspektivenwechsel? Die meisten Debatten im Netz beschränken sich ja leider im wesentlichen auf die konkreten Vorhaben und die argumentatorische Auseinandersetzung mit dem Einzelfall. Mich interessiert mehr das Grundsätzliche. Die These Sicherheits-/ Überwachungsmaßnahmen kosten Freiheit bleibt meist unwidersprochen stehen. Warum kostet Überwachung Freiheit?

Eure argumentatorische Hilfe + meine Motivation könnte morgen doch den Kampf gegen die Windmühlen gewinnen, die Chancen stehen aber nicht so besonders gut.

Kommentare

  1. Stecki

    Nur kurz, da mir die Zeit fehlt, jetzt detailliert auf Deine Punkte einzugehen:

    Daß das Papier viel abwägt und – wie Du es nennst – recht viele Ja-Aber-Formulierungen enthält, liegt in der Natur der Sache. Beim der Thematik bringen einen schwarz-weiß-Extreme nicht weiter. Die Wahrheit liegt eben oft in der Mitte, insbesondere wenn es sich wie hier um ein komplexes Spannungsfeld handelt, wo es in vielen Punkten um Verhältnismäßigkeiten und Relationen von Rechtsgütern/Maßnahmen/Eingriffen geht.

    Es gibt eben in der Tat – auch wenn ich diese Wortspielchen nicht mag – weder Sicherheit ohne Freiheit noch Freiheit ohne Sicherheit.

    Bezüglich der Auswahl an angesprochenen Themen mußten wir uns zugunsten der Textstraffung auf einige exemplarische Problematiken konzentrieren. Alles andere hätte zu weit geführt und würde zu sehr ausufern – Du mußt bedenken, daß man schon jetzt zu jedem der genannten Themenkomplexe sehr intensiv und lange diskutieren kann. Der SHR ist auf 3 h angelegt – in dieser Zeit müssen neben Formalia und Bericht des Landesvorsitzenden auch noch die drei hochkarätigen Referenten ihre Beiträge bringen und das Papier wenigstens ins angemessener Intensität diskutiert werden. Insofern war leider nicht mehr drin (auch uns ging es so, daß wir noch jede Menge weitere Themen hätten reinbringen wollen).

  2. Johan

    Naja, die bisherigen Änderungsanträge lassen keine besonders intensive Debatte erwarten (Ja, auch ich habe mich dieses Mal nicht mit Ruhm bekleckert!). Aber Du hast recht, das war beim Schreiben des Antrags nicht absehbar.

    Was die Abwägungsfrage angeht: Da gebe ich Dir eingeschränkt recht. Wenn man solche Maßnahmen grundsätzlich befürwortet, dann muss man viele Ausnahmen und Grenzen festlegen, eben, weil man sich in einem verfassungsrechtlichen „Spannungsfeld“ bewegt. Bei einer grundsätzlichen Ablehnung (nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Abgrenzung)vieler dieser Maßnahmen kommt man aber nicht in eine solche Verlegenheit 😉

    Und leider ist es wirklich so, dass die Meisten Delegierten weder das Interesse, noch das Stehvermögen haben wirklich lange Debatten zu führen.

    Nach einem Chat gerade mit Andre hat sich meine Position geändert. Ich werde morgen meine Bedenkne in der Grundsatzdebatte deutlich machen und dann werden wir die selben Fragen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bei jeder einzelnen Fragestellung diskutieren. Denn eine Gesamtablehnung ist wirklich ein bisschen unkonstruktiv, wenn man nicht mit Änderungsanträgen kommt. Ich befürchte Allerdings, dass wir dann auch deutlich mehr als 3 Stunden brauchen werden.

    Warum die Spitze auch immer so kurze Zeiten für eine Debatte ansetzen muss.

  3. vivec

    Wenn das Telefon klingelt und sich jemand verwählt hat, und man sich nichts dabei denkt, aber zwei Tage später das Sondereinsatzkommando einem die Wohnungstür aufsprengt, die kleinen Kinder für den Rest ihres Lebens traumatisiert und es anschließen an einem selbst ist, nachzuweisen, dass man mit dem Terroristen, der angerufen hatte, nichts zu tun hat – ist das nicht Grund genug?

  4. Stecki

    @Vivec: Das ist in definitiv nicht Grund genug, weil Du außer acht läßt, daß wir in einem Rechtsstaat leben, wo es hohe Eingriffshürden, Verhälnimäßigkeitsabwägungen, Richtervorbehalte, Unschuldsvermutung und damit Beweislast des Staates (und nicht andersrum) gibt und Dein Beispiel extrem konstruiert ist (da solche Maßnahmen eben nicht aufgrund nur eines schwachen Indizes durchgeführt werden, sondern es auf einen konkretisierten Tatverdacht ankommt) usw usf…

  5. Johan

    Hm, auf der anderen Seite ist es doch am Beispiel der Telefonüberwachung gerade so, dass es nicht nur deutlich mehr Überwachungen gibt, als ursprünglich gedacht, dass die Richter wohl freigiebiger ihre Unterschrift hergeben, als sie eigentlich sollten und dass die Telefonate erst gespeichert und dann ausgewertet werden und die Telefonate, die in den engsten persönlichen Bereich fallen entsprechend nicht verwendet werden, aber trotzdem noch gespeichert sind. Was eigentlich massive Verstösse gegen die ursprüngliche Planugn sind.

    Hinzu kommt, dass wohl nur 1/4 aller überwachten informiert wird, dass eine Überwachung stattgefunden hat und die meisten erst in einem Verfahren davon erfahren, aber nicht, wie es eignetlich vorgesehen ist bei Abschluss der Maßnahme. Auch soll es etliche Fälle geben, in denen die Überwchten nicht informiert worden sind und kein Verfahren stattgefunden hat…

    Das find ich schon heftig.

    Quelle kann ich jetzt gerade nicht sagen, war aber in einem meiner dlf-Podcasts, suche ich bei Bedarf sonst noch mal raus.

  6. Stecki

    @Johan: Mal abgesehen davon, daß Deine Ausführungen ohne Quelle natürlich nur bedingt aussagekräftig sind, dürfte Dir schon klar sein, daß in Einzelfällen (oder meinetwegen auch systematisch) rechtlich fehlerhafter Umgang mit den Vorschriften nicht die Sinnhaftigkeit/Notwendigkeit/Richtigkeit/etc beeinträchtigt. Wenn es konkret Fehler gibt, gehören die halt abgestellt und/oder entsprechend rechtlich aufgearbeitet.
    Es geht im Übrigen nicht um Telefonate (also deren Inhalt), sondern um die Verbindungsdaten (und die haben mit dem engsten persönlichen Bereich widerum nichts zu tun). Aber wie gesagt: Wenn es die „massiven Verstöße“ gibt, so stehen jedem – auch Dir – die rechtsstaatlichen Mittel offen, hier gegen vorzugehen (und dazu kann ich nur raten).

    Daß übrigens auch staatliche Stellen nicht von Irrtum frei sind, mußten auch ohne Onlinedurchsuchung, Telefonüberwachung, Vorratdatenspeicherung und allen anderen Gräueln schon viele Menschen erfahren, die unschuldig ins Visier von Fahndern gerieten oder gar verurteilt wurden oder bei Einsätzen verletzt wurden oder gar umkamen (Klassiker ist Schreibfehler bei der Hausnummer bei Erstürmungen von Wohnungen etc). So bitter das ist und so zynisch das klingt: Sowas passiert. Aber es ist aber auch der absolute Ausnahmefall und dementsprechend kein Grund, auf sachgerechte Maßnahmen zu verzichten…

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